Der Leutnant und die Jungfrau – Teil Zwei

DER LEUTNANT UND DIE JUNGFRAU

eine Geschichte von der Akropolis, zweiter Teil. (Hier kommt man zum ersten Teil.)

„Was ist denn das fürn Holterdiepolter und Geschrei?‟

Der Leutinger hob den Kopf und sah den Wirt in der Tür stehen, im Schlafgewand, sogar eine Mütze auf dem Kopf, in der Hand trug er ein Licht, im Gesicht Ärger und Müdigkeit, hinter ihm lukten zwei, drei Köpfe und Zöpfe, die Wirtin und ihre Kinder.

„Wer hat denn die Uul ins Zimmer gelassen?‟ Der Wirt schritt ins Zimmer, stellte die Kerze auf die Truhe und rollte sich die Ärmel vom Nachthemd hoch. Der Leutinger ächzte. Gerad hatte er sich mit dem Tode abgefunden, itzt war er der Depp in einer Komödie. Denn vorm Fenster sah er nun im Licht des Wirtes eine Eule, einen kleinen Kauz, der verzweifelt suchte, hinaus ins Freie zu gelangen, zu den Mäusen im Mondenschein. Das war das Rattern und das Klattern am Fenster gewesen, die Hand durch sein Gesicht, die Krallen im Rücken. Eine Eule. Die man nie nach Athen tragen sollte. Oder von dort fort?

Der Wirt nahm sich die Schlafmütze vom Schädel und fing darin das flatternde Biest, das sich alsbald beruhigte und den Kopf mit seinen riesigen Augen fast um sich selbst drehte. Schuhu, olulu, olulu.

„Du wolltest wohl die Uul von da unten mörsern, Leutinger,‟ spöttelte der Wirt, „die mörderische Uul,‟ schadenfreudig sah er hinab. So groß sind sie also auch nicht, die tapferen Soldaten der Heiligen Liga. Der Leutinger befreite sich endlich aus der Bettdecke und sprang auf wie’s Messer, ein Körnchen Würde zu bewahren.

„Ich bin’s Bier nimmer gewohnt. Und weiche Betten. Ja, wie ist denn die Eule ins Zimmer gekommen? Oder spielst du deinen Gästen gerne Streiche?‟

„Ich schätze, durch den Kamin ist der Kauz gekommen. Du hast das Feuer ausgehen lassen. Draußen blies der Wind. Passiert manchmal. Da suchen sie Schutz oder bauen Nester.‟

„Eulen und Nester? Das habe ich noch nie gehört.‟

Der Wirt zuckte die Schultern. „Was soll ich mit dem Mörder machen? In den Käfig und kurzen Prozess? Oder Gnade vor Recht ergehen lassen? Entscheide du, Leutinger. Wie wohl Eulenbratenschlegel schmecken?‟

„Lass sie draußen frei.‟

„Bist du sicher? Nicht, dass sie dir nochmals nachsucht.‟

„Leck mich im Arsche. Mir platzt der Schädel. Verschwindet.‟ Vor Wut verzerrt sein Gesicht.

Große Augen und offene Münder bei den Zaungästen an der Tür. Der Wirt schüttelte den Kopf, nahm Kerze, Mütz und Eule, ging hinaus und schloss die Tür. Der Leutinger aber warf sich todmüd aufs Bett. Nur Schlafen konnte er nicht mehr.

 

Er brach schon vor Morgendämmerung auf. Wollte hier niemand mehr sehen. Die Magd Agnes war jedoch schon in der Stube und schürte das Feuer, sie sah ihn scheu, halb ängstlich, halb neugierig an. Klatsch fliegt schnell wie Eulen, nur nicht so lautlos. Der Leutinger nickte ihr bloß zu und haute eine Dukate auf den Tisch.

„Sag’s dem Wirt, das wird wohl reichen.‟

„Jawohl, der Herr.‟

Draußen tat ihm die frische Luft wohl. Der Wind und der Regen hatten sich gelegt und auch seine rasenden Kopfschmerzen. Zwar war es noch stockfinster, kein Hauch mehr von Mond am Himmel, doch der Leutinger kannte den Weg sehr gut, den Weg zum Hof von Sophiens. Er rückte sich den Ranzen am Rücken zurecht, drückte den Dreispitz in die Locken und holte mit dem Stock weit aus. Heute sollt‘ die Sache werden. Söffken. Die Heirat hatten sie sich versprochen. Aber der Leutinger hatte damals kein Geld. Wohl waren seine Eltern nicht die Ärmsten, doch war der Leutinger nicht der Älteste, sein Bruder würde alles kriegen. Söffken war Älteste und Einzigste, deswegen wollte ihr Vater sie und das Erbe, einen stattlichen Hof, keinem armen Schlucker schenken. Drei Jahre warten wir. Denn das Herz der Söffken gehörte dem Leutinger schon, das konnte ihr Vater nicht vollends ignorieren. Drei Jahre, dann hast du das Geld, oder hast du’s nicht, dann sehen wir weiter. Gut, meinte der Leutinger, der Herzog von Hannover sucht Kriegsknechte; ich wollt mich immer schon mit Muselmanen balgen. Gott steh dir bei, sprach der Vater, dem’s egal war, wer, wie, mit Blut oder ohne. Hauptsache Geld. Ja, sonst kriegt man solche großen Höfe nit. Das Söffken aber musste weinen.

Heute vor Freud, mutmaßte der Leutinger und schritt weiter aus. In seinem Ranzen hatte er Dukaten und Gold und Silber, kunstvoll geformt zu einer Kette aus Muscheln, dazu ein Amulett. Das reicht für drei Höfe. Die Sonne war aufgegangen, jedoch fahl und bleich, eine blasse Kusine nur des griechischen Helios. Und der Himmel war hier auch nie so blau und hoch und rein. Kein Wunder, dass unsere Gedanken uns immer an die Balken stoßen, dachte der Leutinger. Immer? Gestern waren sie ihm schon durchgegangen, wie schnaubende Pferde, wie die nüsternweitaufreißenden Pferde am westernen Giebel vom… Hinter ihm schnaubte es nicht, sondern jemand meckerte. Die Nerven des Leutinger lagen einfach blank, was würde ihm sonst das Herz so bis in den Hals schlagen, als er sich wie in einem Sprung umdrehte und hinter sich eine schwarze Ziege sah. Wie kam die ins Land der Schafe? Wem war die entlaufen? Denn um den Hals trug das Biest ein Lederband samt Glöckchen. Wieso hatte er das zuvor nicht gehört? Nun schüttelte sie den Kopf und es klingelte, wie dort, wo sie abends von den Hügeln des Lykabett, Philopappu etc. hinabkamen. O Gott. Die Ziege war dürr, der Balg zerzaust, Stöckchen und Bröckchen im Fell, Blätter, dabei roch sie nach Thymian, Majoran und…. Basilikum? Die Ziege starrte ihn an. Ihre Augen wie die toten des Teufels, golden, mit rechteckigen Pupillen. Mehrmals versuchte der Leutinger, das Hornviech fort zu scheuchen. Es trabte stets ein paar Meter davon, aber wenn er dann weitermarschierte, kam es alsbald hinter ihm her. Klingeling, klingeling, klingeling. Das Pochen fing wieder an in seinem Kopf. Das eiserne Band um seine Schläfen. Ich zieh das Messer und stech‘ das Biest ab, dachte der Leutinger, das wird mir Erleichterung verschaffen. Kaum jedoch hatte er das Messer genommen, kamen ihm ein Pferd und daran ein einfacher Wagen entgegen. Auf dem Bock saß Joachim Zähe, Sophiens Vater. Beide Männer waren zunächst baß erstaunt einander zu sehen und sagten nichts, musterten sich jedoch umso mehr. Der Joachim war im Sonntagstaat gekleidet, Hut, sauberer Rock, blanke Stiefel. Er fragte sich wohl bei des Leutingers altem Tuche, wie es ihm im Krieg ergangen sei. Viel Feind, viel Ehr, viel Plünder?

„Du willst zum Söffken?‟

„Ja.‟

„Ich muss zum Amt nach Lüneburg. Wegen dem Prümer Feld.‟

„Dann gute Fahrt.‟

„Hab Dank. Wir sehen uns später. Und bereden dann.‟

„Ja.‟

Schon war der Leutinger fast an der Kutsche vorbei, als der der Alte ihn anhielt.

„Sag mal, Leutinger.‟

„Ja.‟

„Ist das Deine Ziege?‟ Der Zähe lachte nicht oft, nun grinste er. Die Ziege war dem Leutinger in der Tat nachgestiegen und gab Laut, als wolle sie sagen, ja.

„Nein.‟

„Sie hat sowas Orientalisches. Wie sie meckert.‟

„Ich weiß nicht, wem das Mistviech gehört.‟

„Das Pferd des kleinen Mannes. Die Ziege.‟ Zähe schnalzte mit der Zunge, warf die Zügel, und rollte davon. „Solang’s nicht dein Brautgeld ist,‟ rief er noch.

Der Leutinger beeilte sich nun seines Weges. Die Ziege schien er zu vergessen, obgleich sie ihm eifrig in einiger Entfernung folgte. Der Schädel brummte ihm, pochte bei jedem Herzschlag und gegen den Dreispitz.

Dass das Biest ihm nicht auf den Hof Sophiens folgte, nun, das war freilich seltsam, jedoch umso besser. Auch der Kopfschmerz ließ nach. Vielleicht war es nun vorbei mit dem Fluch, an den der Leutinger langsam zu glauben gewillt war, obwohl ein rationaler Mann und Artillerist. Das kommt davon, wenn man sich solche Dinge zu Herzen nimmt und einbildet. Dann gerät daraus ein wahrer Steinschlag, weil der eine Kiesel getreten wurde.

„Gehab dich wohl, Ziege,‟ entbot er der schwarzen Geiß, drehte sich und ging schnurstracks auf die Tür des Haupthauses zu, ein massives Gebäude aus rotem Klinker mit Sandsteinblöcken an Ecken, Türen und Fenstern. Er pochte. Hätte er zuerst jemand schicken sollen, damit Sophien nicht in Ohnmacht fiel, falls sie es wäre, die öffnete? Daran dachte er zu spät, denn nun stand sie vor ihm. Schön wie zuvor, ihr blondes Haar streng, wie er es immer mochte, zu einem Zopf zusammengeflochten, die Haut wie Blut und Milch, vielleicht etwas dünner als wie in Erinnerung. Auf alle Fälle waren die drei Jahre besser, sprich sanfter, an ihr vorbei gegangen als an ihm. Wohl denn. Sie würden sich schon aneinander aufpäppeln.

„Heinrich!‟

Eine lange Weile sahen sie sich an. Fremde, die einander beim Kirchgang vorgestellt werden. Nicht sicher, was zu erwarten, was zu sagen.

„Gott zum Gruße, Sophie. Da bin ich wieder.‟

„Dann komm doch herein.‟

So saßen sie denn im Jungfrauengemach, in Sophies guter Stube, in ihrer feinen Stube, die Welt, die dem Leutinger fremd geworden in der Fremde, mit Stofftapeten an der Wand, gedrechselten Möbeln, gestickten Deckchen, Porzellan und Nippereien, in der Ecke sogar ein Cembalo. Sie saßen nebeneinander, doch züchtig, auf ihrem grünen Kanapee. Seinen Ranzen hatte der Leutinger zu Füßen. Ein Mägdlein stellte Kaffee, Eierkuchen, Tassen auf den Furniertisch unter hohen Fenstern, hob kurz den Blick und ging. Für einen Blitz, einen Augenblick, wünschte sich der Leutinger weit weit weg, in den Staub im Schatten unter einer breiten Platane mit den Kameraden, wo durch die Blätter im warmen Wind der blaue Himmel der Morea schimmerte, eine Pfeife in der Hand, in der anderen ein Becher Harzwein. Dann war er wieder auf dem Kanapee.

„Nun sag, Heinrich, wie ist es Dir ergangen?‟ Dabei legte sie kurz und sanft die Fläche ihrer Fingerspitzen auf seine grobe, stoppelige Wange.

Der Leutinger wusste nicht, was er sagen sollte und schwieg. Und schwieg. Und schwieg schon viel zu lange. Schweiß trat ihm auf die Stirn. Verdammt, das Pochen. Er konnte doch nicht wie gestern beim Wirt und Schröder… wenn’s wieder aus ihm ausbrechen würde!

„Ich sag’s dir bei und bei. Wenn wir verheiratet sind.‟

Das Söffken musste lächeln. Lächelte. Wurde ernst.

„Können wir dann heiraten?‟

„Dein Vater wird’s uns nicht versagen. Schau!‟ Der Leutinger kramte in seinem Ranzen. Ganz unten, in einem Kästlein. Potz, das Zeug war noch oelig. Was soll’s? Das kann man abwischen. Er fischte das Kästlein heraus.

„Dafür gibt es drei Höfe!‟ Er hielt Sophien in beiden Händen das Holzkästchen hin und öffnete es aber auch selbst. Drinnen war die Silberkette, die Glieder aus kunstvoll geformten Muscheln, daran ein Amulett aus Gold, das Antlitz einer Königin oder Göttin, die Strahlen einer Sonne oder Krone. Er nestelte es heraus und hielt es ihr vor die Nasen, stolz. Draußen meckerte die Ziege. War die nun doch in den Hof gekommen?

„Hör, Heinrich! Am helligsten Tag eine Eule?‟

„Nein, eine Ziege ist das.‟

Olulu, olulu.

Der Leutinger sah zu Söffken. Sie war versteinert.

Sie war versteinert, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Augen weit auf, der Mund leicht geöffnet, es ging kein Odem, sie blickte ins Nichts, ins Alles, ins Nirgendwo. Kein Regen der Glieder.

„Söffken!‟

Den Leutinger überkam die Panik. Die Angst, als ob tausend Furien hinter ihm her seien, den Mord an Söffken würden sie ihm ankreiden, sie würden ihn hängen, entkernen, vierteilen. Er wollte einen Gedanken fassen, einen Grund, ein Argument, eine Verteidigung, eine Bresche doch ein blendender Schmerz versagte ihm jegliches Denken. Als ob ein Fassbinder ihm einen Eisenring um die Schläfen geschmiedet, als ob ein Riese oder Titan ihm einen viel zu kleinen Helm auf den Schädel pressen würde. Nur noch Flucht. Er musste hinaus, fort, fort, auf die Heide, weit fort, in die Wildnis, in die Berge, in die karstigen, steinigen, öden Berge. Wenn die Sonne seine abgenagten Knochen blich, würde alles wieder gut sein und Harmonie zwischen den Göttern und den Kreaturen. So fühlte der Leutinger, das war ihm alles wie eine singuläre Regung, und so sprang er auf, ließ fast alles hinter sich liegen, Kästchen, Ranzen, Stock und Söffken und rannte aus dem Haus, über den Hof, hinaus, hutlos.

„Hej, Leutinger, wie war’s bei den Türken?‟ rief ihm einer hinterher, ein Knecht.

Aber er rannte und rannte. Hinter ihm ging’s Ziegengeläut. Nur von dem schwatten Biest war weder Haut, noch Huf, noch Horn zu sehen.

Des Abend, im November ja recht frühe, kam der sich selbst halb zu Tode gehetzte Leutinger zu Soltau an. Aus der Schmiede schien noch das Licht der Esse und klangen die Schläge, und schienen dem Leutinger wie der Puls seines Herzens. Nun galt es. Den nur einen Gedanken hatte er fassen können, während er über Stock und Stein und Heide gerannt, nur ein Gedanke, der ihm so klar war wie der arkadische Himmel, er musste das aus seinem Schädel lassen. So stolperte er in die Schmiede.

Der Schweißgebadete stand mit zitternden Beinen und röchelndem Atem vor Schmied und Lehrling, welche überrascht von ihrer Arbeit abließen.

„Öffnet mir den Schädel!‟

„Was zum Düwel?!‟ Dergleichen hatte der Schmied noch nie gehört. Der Lehrling sah den Meister an, verunsichert, gehörte das zum Tun? Nicht nur Zähne ziehen?

„Nimm Hammer, Meißel, trepanier er mir den Kopf.‟

„Warum?‟

„Ich hab einen Dämon darinnen, die will mir das Hirn spalten.‟

Ratlos stand der Schmied vorm wilden Leutinger und wischte sich verlegen die hornigen, oeligen Pranken an der Lederschürze ab.

„Ich kann doch nicht…‟

„Soll ich meinen Kopf auf den Amboss legen?‟ Der Leutinger wankte einen Schritt vor. Schmied und Lehrling wichen zurück vor dessen wilden Augen.

„Sie kann mir sonst nicht aus dem Schädel heraus,‟ schrie der Leutinger.

Schon griff der entgeisterte Schmied, in der Gewohnheit Befehlen und Weisungen Höherer zu gehorchen, nach dem Hammer und suchte nach einem Meißel… sie schienen ihm alle so breit und stumpf angesichts des Leutingers dünnen Knochen, da mischte sich die Vorsehung oder das zum Glück oder eine gnädige Gottheit ein, und die Stimme des Paters Tonius, der, wie es jene zuvor genannten Kräfte wollten, just kurz zuvor dem grimmen Schauspiel in der Schmedde Zeuge war, erklang.

„Haltet ein, Schmied! Und bringt den Mann in meine Kirche.‟

Der Leutinger saß in der Sakristei von Sankt Ioanni und goss ein Glas Wein die Kehle hinab. Seine Hand zitterte, doch kaum. Vom vielen Schweiß, der nun getrocknet war, war ihm eine Salzkruste auf Stirn, Augenlidern und Wangen. Der Pater saß ihm gegenüber, eher ungeistlichhaft, breitbeinig, die Soutane leicht hochgerafft und die Ärmel hochgekrempelt.

„Nun beichtet.‟

„Wer seid Ihr, Hochwürden?‟

„Du siehst es doch, und sagst es. Ich heiße Vater Erich Tonius. Aber das tut Nichts zur Sache. Was liegt dir auf der Seele, Sohn?‟

„Ich bin ein Mörder.‟

„Wen hast du ermordet.‟

„Ich habe mein Söffken ermordet. Und dreihundert Türken. Und…‟

„Das Söffken hast du nicht ermordet. Ich komm von da. Sie ist aus ihrer Starre erwacht, und fragt sich nur, wo du geblieben.‟

Der Leutinger schwieg. Der Pater nahm einen Schluck, gleich aus der Flasche. Der Leutinger sagte nichts.

„Wenn ich zu ihr geh‘, wird sie wieder… zu Stein?‟

„Was lastet dir so schwer auf dem Gewissen?‟ Der Pater war ein homo curiosus und ein Seelenkenner. Er wusste, die ca. dreihundert Türken konnten es nicht sein, die des Leutingers Gewissen so schwer zu Lasten machten. Bedauerlich gewiss, und Makel von Kains Abkunft; die Türkenseelen stellte der Pater dem Venezianern und dem Sultan in Rechnung, war’s doch dessen Krieg. „Wer verfolgt dich?‟

„Hochwürden, Ihr seid ein katholischer Mann. Doch kennt Ihr auch die alten Götter?‟

„Ich hab zu Göttingen Theologie studiert, und Philosophie.‟

„Und einen, der Homerus hieß, gelesen?‟

„Gewiss.‟

Der Leutinger seufzte und raufte sich die Haare.

„Raus damit, Mann. Das nennt sich Exorzismus.‟

„Noch ein Schluck Wein.‟

Der Pater gab ihm ins Glas zur Neige. „Da ist noch mehr, wie in allen Kirchen, aber später.‟

So erzählte der Leutinger das Ende seiner traurigen, sehr traurigen Geschichte.

„Meine Batterie von Mörsern lag auch an einer Kirche, Sankt Nickolas gehießen, im griechischen Dorf Athen, östlich der Feste. Und wie ich schon sagte,‟ (der Leutinger vergaß, dass er dies dem Wirt und dem Schröder erzählt hatte, nicht dem Pater) „da kam von den Türken ein Deserteur hinab vom Fels, der sagte, da haben sie ihr Pulver drin, alles Pulver, ihr Magazin, oben in der Moschee. Die aber erst bei den Türken eine Moschee war, vorher Kirche, vorher Tempel, das Haus von Athene. Granate hinein, war der Befehl, und wer es schafft, extra Wein und extra Dukaten. So sprach Königsmarck, und Morosini auch. Das war abends, 26. Septembris. Es war Vollmond. Trotzdessen, ich konnte von meiner Warte aus den weißen Tempel mit Säulen und Dach und Fries gar nicht so recht sehen, zu steil war der Fels, aber das Minareh, das sah ich fein. Na gut. Nicht umsonst hat man die Mathematik gelernt und die Winkel. Wir schossen eine Bombe. Sie brach durchs Dach. Sie explodierte. Das ganze Tempelhaus. Barst auseinander. Ich hörte es nur. Wie wenn ein Berg aufschreit, wenn er stirbt. Andere erzählten mir davon, vom großen Feuerwerk, der Eruption. Ich sah später die Trümmer. Und ich will Ihnen was sagen, Pater. Niemand jubelte. Totenstille. Doch der Königsmarck, egal was er später wehleidete, klopfte mir auf die Schulter. Und einen Judaskuss gab mir Morosini. Und die Dukaten.‟ Der Leutinger wischte sich was von der Wange.

„Das Parthenon, das schöne Gemach der Jungfrau Athene,‟ seufzte der Pater, „wie gerne hätte ich es gesehen.‟

„Ich auch. Ich sah es als es noch heil und ganz war ja nur von weitem. Nach der Kapitulation drei Tage nach dem Schuss ging ich hinauf. Mein Werk. Tote und Trümmer. Wie die Raben stopften sich die Söldner die Ranzen voll mit Marmorköpfen. Einige bauen kunstvoll und in Jahren, andere… ich selbst fand…, aber erlasst mir das, Pater. Seitdem verfolgt uns in Rache die zürnige Göttin. Glaubt Ihr das? Ich tu’s. Schon bald brach in der unglücklichen Stadt eine furchtbare Seuche aus. Die Pest nämentlich fraß Generäle, Obristen und Soldaten. Nun bin ich an der Reihe. Lange dachte ich, gerad ich,‟ er lachte spöttelnd auf, „wäre dem Zorn entkommen. Jetzt schickt sie mir Oele, Eulen, Ziegen. Und die ich lieb, wird selbst zum Marmor. Haut mir doch schon, haut dem Wahnsinn das Haupt ab. Wie soll ich länger leben? Wie soll ich Buße tun?‟ Der Leutinger schluchzte.

Der Pater dachte lange nach.

„Hast du was gestohlen? Das Söffken sprach von einer Kette.‟

„Ich…‟ Der Leutinger wunderte sich und grub in seines Rockes Taschen. Fand wohl was, um dass sich seine Finger schlossen. Er hatte sie doch mitgenommen.

„Ja. Ich fand was. Auch das will ich gestehen. Ich sah es glitzern zwischen den Steinen meiner Ruine.‟

„Zeig her!‟

„Und wenn Ihr zu Stein werdet?‟

„Unfug. Häresie. Ich bin ein Mann Gottes, was will mir eine Alte tun?!‟

Zögerlich zog der Leutinger die Hand aus der Tasche und zeigte dem Pater Tonius die Kette und das Amulett. Der ward nicht zu Stein, nur seine Augen zu Brillanten.

„Μια θεά στην κορυφή ενός βουνού,‟ sprach er in einem eigentümlichen Singsang. Ferner:
„καίγονταν σαν ασημένια φλόγα
Η κορυφή της ομορφιάς και της αγάπης
Και Αθηνά ήταν το όνομά της
Το έχει
Ναι, μωρό μου, το έχει
Λοιπόν, είμαι η Αθηνά σου
Είμαι η φωτιά σου, στην επιθυμία σου.‟

Der arme Leutinger verstand kein Wort und wunderte sich. Dem Pater war seine Emotion und Ausbruch wohl etwas peinlich. Er zwang sich, dem Leutinger die Kette wieder in den Schoss zu legen, und hielt ihm segnend die Hand aufs Haupt.

„Es ist doch ganz und gar eindeutig, was du tun musst, Heinrich, um dich vom Zorn der Göttin zu lösen. Du hast ihr ein Haus gestohlen, nun musst du ihr ein neues bauen. Den Frevel sühnen.‟

„Das sagt Ihr, als Mann des einen Gottes?‟

„Das Göttliche, mein Lieber, hat mehr als ein Gesicht. Ins Heiligtum legst du die Kette.‟

So ließ der Leutinger Ziegel brennen. Die schaffte er auf sein Land und baute. Baute sicherlich ein Jahr, im Schweiße seines Angesichts, zum Spotte Vieler, was ihm jedoch nicht so den Buckel krümmte wie die vielen Ziegel. So kam es zum Tempel in der Heide. Halbwegs zwischen Embsen und Drögennindorf. Und wer’s nicht glaubt, soll selbst vorbeigehen. Und wenn Ihr vorbeigeht, grüßt mir die Kinder von Söffken und dem Leutinger. Wer aber das Amulett stehlen will, den warne ich. Habt Acht vor Oelen, Eulen, Ziegen.

ENDE

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